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Channel: Kommentare zu: Zwei Arten von Gebrauchswert?
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Von: Andreas Exner

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Das Theorem, wonach der Gebrauchswert zu historisieren sei, ist schon früher entwickelt worden und hat Einiges für sich. Allerdings überzeugt dieses Element aus dem Zitat aus Lohoffs Text mich noch nicht:

“Diese Inkonsistenz in der Marx’schen Argumentation lässt sich ohne
Weiteres beseitigen. Man muss sich an das halten, was Marx im Fortgang
seiner Darstellung faktisch macht, und sich von der Identität von
Gebrauchswert und sinnlich-stofflichem Reichtum und damit von einem
überhistorischen Gebrauchswertbegriff verabschieden.”

Man kann diese Inkonsistenz ebenso beseitigen, indem man den Gebrauchswert, anders als Marx in späteren Teilen des “Kapital”, konsequent auf den genannten “sinnlich-stofflichen Reichtum” bezieht.

In heutiger ökonomischer Sprache versteht man den Begriff “Gebrauchswert” in der Regel nicht mehr, er ist aus dem Sprachschatz der Ökonomie gestrichen, da ist vielmehr vom “Nutzen” die Rede; und auch der hat eigentlich keine systematische Bedeutung mehr für die ökonomischen Theorien, die ja nicht mit “Nutzen” hantieren, sondern mit Preisen und Mengen.

Der Begriff des Nutzens offenbart vielleicht noch stärker als der des Gebrauchswerts, der immerhin noch ein aktives, zugreifendes Moment impliziert, eben den Gebrauch und das Brauchen (das Bedürfnis), während Nutzen auch im Passiven realisiert werden kann, als bloßer (produktiver oder unproduktiver) Konsum, wo ich den eigentlich zu historisierenden Aspekt sehen würde: in der Auflösung der Welt in “nutzbare” oder “nutzbringende” Elemente, in das recht eigenartige Konstrukt von “Nutzeneinheiten”, auf die zu messen auch die Neoklassik nach einigen frühen wagemutigen Versuchen letztlich verzichten musste.

(Und diese nützliche Auflösung der Welt in scheinbar zu isolierende Einheiten hakt sogar in sich, denn ein Auto beispielsweise ist nur dann ein Gebrauchswert, wenn es auch Straßen ohne Staus gibt, wie Elmar Altvater vor vielen Jahren bemerkt hat; er prägte den Begriff der “sphärischen Gebundenheit” der Gebrauchswerte, die der Kapitalismus systematisch ignoriert).

Die Auflösung der Welt in “Nutzenelemente”, das ist ganz sicher eine dem Kapitalismus höchst eigene und zerstörerische Sichtweise, wie man mit Blick auf die anthropologische Literatur oder auf Textzeugnisse früherer, vor dem Kapitalismus liegender Epochen zu verstehen lernt.

Was den Gebrauchswertbegriff auch für radikale Gesellschaftskritik meiner Meinung nach immer noch zu einem Gebrauchswert macht, ist sein Verweis auf ein tatsächlich überhistorisches Moment. Das liegt nicht im Begriff selbst, sondern in dem, was mit “stofflich-sinnlichem Reichtum” gemeint ist, den der Gebrauchswert bezeichnen soll – wobei man auch den Begriff des Reichtums in der Tat problematisieren müsste.

Der Ansatz von Krisis und Exit verschiebt das “überhistorische Element” nur eine gedachte Etage tiefer, mit sprachpolizeilicher Tendenz. Ja, der “Gebrauchswert” ist historisch an den Kapitalismus gebunden, sowohl als Begriff als auch seinem Inhalt nach. Das würde mich aber nicht hindern, ihn weiter zu verwenden in kritischer Absicht, denn aus Tellern kann man noch im Kommunismus essen, auch wenn diese dann anders hergestellt würden. (Ebenso wie man durchaus weiterhin von konkreter Arbeit sprechen mag, auch wenn man weiß, dass Arbeit ein zu historisierender Begriff ist, wie anthropologisch gezeigt werden kann; statt etwa den überhistorischen Kern der Arbeit nun “Tätigkeit” zu nennen, was ja nur eine sprachliche Verschiebung bedeutet und keine theoretische Einsicht.)


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